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Erster Teil im Brief aus Delhi Srinagar, 19. April 1998
Die Freiheitseinbussen, die ich im Gegenzug für die legendäre moslemische Gastfreundschaft hinnehmen muss, haben sich kontinuierlich gesteigert. Die Familie, bei der ich hier zu Gast bin, scheut keinen Aufwand, mich bestens zu betreuen, sie ist so sehr um mich besorgt, dass ich kaum je fünf Minuten für mich allein habe. Gestern wollte ich mich nächtlicherweise in die Küche stehlen, um etwas weiter schreiben zu können, aber das Knarren des Fussbodens hat die stets wachsame Mutter aus ihrem Schlaf gerissen und sie hat mich schlicht und einfach ins Bett geschickt: "Morgen wieder, jetzt ist Nacht und Du bist müde!" Während ich in der Türkei noch hin und wieder etwas aufbegehrte, finde ich mich mittlerweilen damit ab, keinen eigenen Willen mehr haben zu dürfen. So ist das mit Schändi! Eigentlich wollte ich ja von Pakistan berichten. Also: Das Zusammentreffen mit Sven hätte besser nicht klappen können. Karachi ist zwar keine sonderlich reizvolle Stadt, sie scheint zwischen Moderne und Traditionalismus hin und her gerissen zu sein. An den Strassenkreuzungen kämpfen von Kamelen, Pferden oder Eseln gezogene Karren, Rikschahs - diese dreirädrigen Motorfahrzeuge mit gedeckter Sitzbank für zwei Personen mit Taxifunktion -, PKWs, Busse und schwere Lastwagen um eine Pole-Position. Im ganzen Land werden die Aussenflächen der Lastwagen und Busse dazu benutzt, irgendwelche verschlüsselte, religiöse Botschaften an den Mann zu bringen. Bunt bemalt und mit allerlei Schnickschnack ausgestattet, gleichen sie rollenden Kunstwerken, die jedoch nur von aussen hübsch anzusehen sind. Im Innern vergeht einem die Freude, sobald sich das Gefährt in Bewegung setzt und seine Höllenfahrt auf Landstrassen in übelstem Zustand antritt. Kennt Ihr das Computerspiel "Busfahrt in Pakistan"? Es ist überaus aufregend und spannend. Während man mit Höchstgeschwindigkeit auf holprigem Untergrund durch die Gegend rast, fliegen einem Objekte verschiedentlichster Art - Fussgänger, Heuwagen, Tanker - entgegen, denen man nach links oder rechts ausweichen kann. Es muss eine höhere Macht im Spiel sein, dass ich noch keines meiner Männchen verloren habe! Die Verzierungen und Dekorationen scheinen tatsächlich eine göttliche Schutzfunktion auszuüben und vor Bösem zu bewahren. Zugfahren war eine Zeit lang auch nicht ganz gefahrlos. In den Zeitungen waren jeden Tag neue Meldungen über Bombenexplosionen in überfüllten Bahnwagen zu lesen. Über die Täterschaft gab es keine Zweifel: indische Terroristen, die den pakistanischen Staat zu lähmen trachten. Sie wurden just in dem Moment aktiv, als im Parlament der Vorstoss gemacht wurde, den Anteil der Armee am Staatsbudget von 85 auf 80 % zu kürzen. Kampfhandlungen gegen afghanische Aggressoren in einem kleine Grenzort fielen zufälligerweise in dieselbe Zeit. Also, ich muss das Ende meiner Geschichte aus Pakistan irgendwie verschieben, ich werde gedrängt mich bereitzumachen, um einem Verwandten einen Besuch abzustatten. Irgendwann werde ich es schaffen, hier wieder wegzukommen, weiss allerdings noch nicht ganz, wie. Dann finde ich wieder beliebig Zeit um weiter zu schreiben! Bis auf bald Schändi-Andrea |