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Safranboulu-Carsi, Türkei, 14.1.98 Zur Zeit befinde ich mich in Carsi, einem kleinen Ort aus traditionellen Häusern in ottomanischem Stil, einige Stunden von der Schwarzmeerküste entfernt. Es ist nicht eben warm, besonders die Nächte sind sinnlos kalt. Angesichts der beschränkten Möglichkeiten zum Heizen bin ich froh, dass ich durch die harte Schule der Lyssachstrasse gegangen bin und gelernt habe zu frieren! Einen noch höheren Seltenheitswert als geheizte Räume hat warmes Wasser. Mich der Tortur des Waschens täglich zu unterziehen, scheint mir völlig unnötig. Seit ich in überfüllten Bussen reise, weiss ich, dass ich diese Haltung mit vielen teile. Der dominante Geruch von Billigzigaretten und Kölnischwasser vermag nicht darüber hinwegzutäuschen, dass mit Wasser sparsam umgegangen wird. Auf Busreisen lauern jedoch noch andere Gefahren als der Erstickungstod. Der Überlandverkehr richtet sich nach dem Motto: Allah im Himmel erspart den Blick in den Rückspiegel. Es gilt, ungeachtet von Strassenzustand und Verkehrsdichte, loszudonnern. Jeder gute Moslem glaubt an Kismet, das unabwendbare Schicksal, und hat sich damit abgefunden, dass dem unergründlichen Willen Allahs mit vernunftgelenktem Handeln nicht beizukommen ist. Der arme Atheist, der bei jedem Überholmanöver Todesängste aussteht, wird wieder einmal nicht gefragt. Soeben hat mir der Besitzer dieses Lokals einen Ayran ausgegeben, ein etwas dickflüssiges Getränk aus Joghurt, das mein Geschmackssinn einem Gärstadium deutlich über Migros-Data zuordnet. Irgendwie werde ich das schon schaffen, inzwischen habe ich ja bereist etwas Übung. Es sind wirklich nette Leute, diese Türken, manchmal jedoch fast ein wenig zu freundlich und hilfsbereit. Selbst in der Grossstadt Istanbul ist es kaum möglich, alleine durch die Strassen zu gehen. Ungestört in einem Café sitzen und lesen oder schreiben ist meist von kurzer Dauer. Schon erkundigt sich jemand nach dem Woher und Wohin, will mir seine Hilfe anbieten und von da an überallhin mitkommen, damit ich auch etwas Gesellschaft habe, weil es für den Menschen nicht gut sei, alleine zu sein. Die Gastfreundschafat ist phänomenal und die Leute scheuen nichts, um mir den Aufenthalt in ihrem Haus möglichst angenehm zu machen. Ich genoss jeweils eine Sonderstellung und durfte mit den Männern zum Kartenspiel und Backgammon in die Quartierbeiz, während die Frauen, die ihre Haare auch im Haus stets mit einem Kopftuch bedecken, ein reichhaltiges Mahl kochten. Gegessen wird auf dem Boden, gruppiert in einem Kreis rund um die auf ausgelegten Tüchern gestellten Schüsseln, aus denen sich jeder direkt bedient. Fortsetzung im Brief aus Trazon |