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Die erste Etappe der Transsibirischen habe ich ueberstanden und bin zur Zeit in Ulaan Bataar zu Gast bei einer Frau, die mich spontan zu sich nach Hause eingeladen hat. Sie leidet unter der sommerlichen Hitze (22 Grad), freut sich auf den Winter (minus 30 Grad), trinkt abends gerne fermentierte Pferdemilch, ist aber ansonsten nicht nur vernueftig, sondern blitzgescheit. Getroffen habe ich sie auf dem Zug hierher. Wir waren in demselben Abteil zusammen mit ihren Kollegen, die alle auf der Rueckreise von einem Seminar ueber erneuerbare Energie in Peking waren und ihr Diplom mit Vodka kraeftig begossen. Der Leiter der Forschungsabteilung der Staatsuniversitaet war an der mongolischen Grenze nicht mehr in der Lage, die noetigen Formulare fuer die Immigrationsbehoerde auszufuellen. Der Grenzbeamte konnte es kaum fassen und hat ihm fuenf Minuten kopfschuettelnd dabei zugesehen, wie er versuchte, auf den vorgedruckten Linien zu schreiben, hat dem Trauerspiel schliesslich ein Ende gesetzt und die Aufgabe selbst uebernommen. Mit der halben Crew waren wir fuer zwei Tage auf dem Land, das Programm war feucht-froehlich, die Trinksitten koennen sich mit den russischen durchaus messen. Dazugekommen ist ein Freund der Familie, ein hohes Tier bei der Polizei, der die Rolle des Fahrers uebernahm, jedoch deswegen keineswegs nuechtern blieb und unter Missachtung saemtlicher, selbst in der Mongolei geltenden Verkehrsregeln, durch die Granslandschaft donnerte. Ich leide noch unter den Nachwirkungen dieses wilden Ausflugs, versuche mich jedoch genuegend zu sammeln, um heute Abend den Zug Richtung Irkutsk zu besteigen. Im Vergleich zu Peking ist Ulaan Bataar ein Provinznest. China ist im Umbruch und eine riesige Baustelle. Ueberall werden alte Quartiere niedergerissen und hohe Geschaftshaeuser mit Spiegelglas oder Waenden aus weissen Badezimmer-Plaettchen hochgezogen, um den Land einen modernen Anstrich zu geben. Hinter den Fassaden sieht das Leben jedoch anders aus: derjenige, der in den Seitenstrassen an einem Essstand von Hand Nudeln macht oder ein paar Werkzeuge vor sich ausgelegt hat, um ambulant fuer einige Yuan Fahrraeder zu flicken, gehoert wohl nicht zu den vieldiskutierten potentiellen Nachfragern nach einem PC oder PkW. Eindeutig ist hingegen, dass das Wirtschaftswachstum auf Kosten der Umwelt geht. Die Zerstoerung ist ueberall ersichtlich, schwarze Fluesse schieben halbe Muelldeponien vor sich her, in den Staedten ist dicke Luft. Die schmutzigste Stadt Chinas liegt von Bergen eingekesselt, die Luftverschmutzung ruehrt dort zu Traenen und ist so augenfaellig, dass Massnahmen zur Verbesserung der Luftqualitaet diskutiert werden. Man ueberlegt sich, welcher Berg am besten abzutragen sei, damit der Wind optimal hindurch- und den Dreck wegblasen kann. Ein Monat China hat nicht ausgereicht, um herauszufinden, wie man in einem chinesischen Restaurant negativ auffallen koennte. Was es nicht sein kann: ausgekautes Bambusrohr ueber den halben Raum bis vor die Fuesse eines anderen Gastes zu spucken, abgenagte Knochen unter den Tisch fallen zu lassen, parallel zum Essen non-stop zu rauchen, natural auf den Boden zu rotzen, Schleim aus der Lunge graeuschvoll hochzuproduzieren und vor die eigenen Fuesse heruntersabbern zu lassen, entweder einen betraechtlichen Transportverlust bis zum Mund hinzunehmen oder alternativ die Schale Reis direkt unter das Kinn zu halten und dank hastigen Bewegungen mit den Staebchen dennoch einen betraechtlichen Transportverlust hinzunehmen. Die chinesischen (Un)sitten sind ein bekanntes Problem. Als ein Mitglied der chinesischen Regierung in einem suedchinesischen Staedtchen zu Gast war, wurden fuer das Spezialkonzert eines traditionellen Orchesters verzweifelt Auslaender als Publikumfueller zusammengesucht. Offenbar attestiert man ungekaemmten Backpackern in verwaschenen Jeans bessere Manieren als chinesichen Durchschnittsbuergern. Beim VIP handelte es sich angeblich um Nummer Vier in der chinesischen Politik. Dafuer schien er mir mit seinen sechzig Jahren zwar etwas jung. Das Durchschnittsalter der Musikanten lag hingegen bei etwa achzig. Sie spielten sphaerische Klaenge auf alten Instrumenten, die sie ueber die Kulturrevolution gerettet hatten. Nummer Vier hatte grosse Muehe, waehrend des Konzerts stillzusitzen, war die meiste Zeit mit seinen Sitznachbarn in Gespraeche verwickelt, waehrend seine Entourage dauernd Anrufe auf ihren Handies entgegennehmen musste, dauerqualmten und schamlos auf den Boden spuckten. Einer der Organisatoren, der direkt hinter mir sass, bemerkte lakonisch, dass man in China deshalb auf rote Teppiche verzichte, weil diese sogleich ruiniert wuerden. Interessanterweise ist der groesste Internet-Anbieter in China die staatliche Telecom. Offenbar fuerchtet sich die Politik-Eminenz nicht vor dem freien Zugang zu Informationen. Die Repressionen seien generell nicht mehr so schlimm wie frueher, erzaehlte mir mein Pekinger Kollege, der mich nicht nur vom Bahnhof abholte, sondern sich gleich freinahm, um mich in der Stadt herumzufuehren und fuer ein paar Tage mit Zelt in entlegene Winkel der inneren Mongolei zu fahren. Heute haette man nichts mehr zu befuerchten, wenn man laut sage, dass Mao zu fuenfzig Prozent unrecht hatte. (Die offizielle Parteilinie waehnt Mao noch zu siebzig Prozent im Recht.) Dass nicht zu viele von dieser neugewonnenen Redefreiheit Gebrauch machen, wurde der Tiananmen kurzerhand gesperrt. Rechtzeitig auf den zehnjaehrigen Jahrestag des Massakers wurde eine restaurationsfaellige Ecke entdeckt und der ganze Platz mit einem hohen Bauzaun hermetisch abgeriegelt. Es gaebe noch viel mehr zu erzaehlen, aber irgendetwas sollte ich mir noch aufsparen fuer die langen Winternaechte vor dem knisternden Kaminfeuer. Ich hoffe zwar auf sommerliches Wetter bei meiner Rueckkehr, die Ihr in etwa zwei Wochen erwarten duerft. Von Irkutsk bis Moskau sind es nur dreieinhalb Tage mit dem Zug, und Moskau-Bern sollte in zwei Tagen zu schaffen sein. Wieviel Zeit ich wo noch zwischenhalten werde, haengt weitgehend von den Zugverbindungen und verfuegbaren Plaetzen ab.
Bis bald Andrea |