Schlussrede von Peter Lacher:
„Als
ich oben stand – oben auf dem höchsten Punkt der Erde – war für
mich das Erreichen des Everestgipfels etwas greifbares, etwas konkretes,
eine unleugbare Tatsache geworden.“
Mit
diesen Worten beschrieb Jon Krakauer, Autor des Buches „ In eisigen
Höhen“ den Moment, als er auf dem Gipfel des Mount Everest -
8848 m über dem Meeresspiegel - stand. Die Strapazen zeichneten sein
Gesicht, sein Körper war müde, jeder Muskel tat weh, jeder Atemstoss
schmerzte – und doch empfand er ein unbeschreibliches und schönes
Gefühl.
Liebe
diplomierte Kauffrauen und Kaufmänner – Herzliche Gratulation – auch
wir haben den Gipfel erreicht!
Wir
sind am Ziel angekommen, am Ziel, welches sich alle von uns vor einigen
Jahren gesetzt haben. Dieses Ziel war, alle Hindernisse aus dem Weg zu
räumen, Schritt für Schritt die Prüfungen in möglichst
optimalem Aufwand-Nutzen Verhältnis anzugehen und zu bestehen, die
Schlussprüfungen – die ja heute erst einige Wochen zurückliegen
– zu schaffen. Das Ziel hiess auch, zeigen zu können, was man alles
gelernt, begriffen und verarbeitet hat – kurz: Das Ziel war, dieses Diplom
zu erhalten und heute hier im Bellevue anstossen zu können!
Sie
fragen sich nun vielleicht, was die Diplomfeier der HKG in Bern mit einer
Besteigung des Everest oder eines anderen Gipfels gemeinsam haben soll.
Zwar
mussten wir an der Effingerstrasse nie wirklich in einem Biwak übernachten.
Aber die Hartnäckigkeit der Schulleitung betreffend Zimmerzuteilung
brachte uns doch hin und wieder nahe an die physischen Grenzen, war
es doch während aller Jahre interessant zu beobachten, dass sich –
obwohl das ganze Gebäude quasi leer stand – unsere zugeteilten Schulzimmer
ausnahmslos in den obersten Etagen dieses heissgeliebten Gebäudes
befanden. Schwerst beladen mit allen Büchern – zumindest im ersten
Jahr als Neulinge – schleppten wir uns Samstag für Samstag in diese
höheren Gefilde mit dem Wunsch, doch wenn möglich wenigstens
ein Semester lang im Parterre unterrichtet zu werden.
Eine
Gipfelbesteigung und die HKG zu absolvieren haben weitere Gemeinsamkeiten.
Als wir uns alle vor einigen Jahren Gedanken über unsere berufliche
Zukunft machten, schien es uns allen klar, dass ein beruflicher Erfolg
nur möglich ist, wenn man sich weiterbildet. Die Weiterbildungsmöglichkeiten
sind sehr vielfältig, das Angebote gross - aber alle richten
sich nach demselben Grundsatz:
Der
Wille jedes Einzelnen muss gross genug sein, drei Jahre durchzustehen,
drei Jahre auf vieles verzichten zu können, drei Jahre lang einen
verständnisvollen Partner oder Partnerin und eine verständnisvolle
Familie an der Seite zu haben, drei Jahre immer mit dem Gedanken zu leben
„Ou ich selti Ja no leere“, drei Jahre lang vielleicht sogar finanzielle
Einbussen in Kauf zu nehmen.
Ob
uns allen von Anfang an klar war, worauf wir uns da eingelassen haben,
wage ich zu bezweifeln. Und trotzdem oder vielleicht gerade deswegen machten
wir uns auf, diesen Weg zum Gipfel in Angriff zu nehmen.
Wir
packten unseren Rucksack mit allem, was man für so eine Besteigung
benötigt – nicht zu wenig, da das Unternehmen sonst von Anfang
an zum scheitern verurteilt gewesen wäre – nicht zu viel, da uns sonst
unsere eigene Last in die Knie gezwungen hätte.
Unserer
erstes Ziel war Camp 1, mit den vorgelagerten Steilwänden Statistik,
Französisch und Rechtskunde. Für diese Etappe mussten wir
die Steigbügel zum ersten Mal anziehen, denn die Wände waren
steil und schwer erklimmbar. Vergessen werden wir wohl lange nicht das
rasante und doch absolut präzis angeschlagene Tempo – das Sprechtempo
– unseres einen Bergführers, der uns vor den Ausrutschern mit einer
Standardabweichung von 2mm zu bewahren versuchte. Ebenso werden wir uns
an die giftigen Schlangen im Rechtsgebirge erinnern, teils lebendige, teils
vom Blitz erschlagene Tiere, deren Ableben den einen oder anderen unter
uns wohl rechtsgrundlagenmässig nie ganz klar sein wird.
Im
Camp 1 heil und erfolgreich angekommen, wog unser Rucksack bereits nicht
mehr so schwer, hatten wir doch schon einige Haken, einige Meter Seil und
einige Karabiner hinter uns gelassen – aber auch bereits etwas Kraft und
Elan.
Für
die zweite Etappe, die Durchsteigung der Englischen- und der Volkswirtschaftlichen
Wand - Schwierigkeitsgrad 3 Megabyte mit Ziel Camp 2 - motivierten uns
teils neue, teils bereits bekannte Bergführer.
Die
Planung des Critical Path zu Camp 2, welche wir mit einem zu kurzen Zwischenhalt
vor Weihnachten in der britischen Sherrybar vorbereiteten, entpuppte sich
als äusserst schwierig. Gerade am englischen Horn vorbeigeklettert,
dachten wir plötzlich – unterhalb der IS-LM-Kurve fast ans Aufgeben
und Umkehren, war vielen von uns doch eine zeitlang völlig unklar,
ob und wie wir diese und andere Kurven schaffen sollten.
Und
doch, Camp 2 wurde von uns im Oktober des Jahres 1998 in Beschlag genommen.
Zwei Drittel des Aufstieges waren nun bereits geschafft, jedoch stand uns
das letzte Drittel noch bevor - wie sich später herausstellen sollte
war dies der intensivste und kräfteraubenste Aufstieg.
Unsere
gesamte Mannschaft, personell gestärkt durch neue Bergführer,
startete im Oktober 1998 den Aufstieg zum Gipfel. Hier zeigte sich nun,
wer unten am Fusse des Berges die richtigen Marken-Dinger ausgesucht hatte,
wem es gefiel zu Steuern und Führen zu lehren, wer seinen Rucksack
am besten organisiert hatte, ob man die Wegstrecke und den Proviant richtig
errechnet hatte und schlussendlich, für wen sich die gesamte
Investition lohnend auswirkte.
Der
Aufstieg war hart und ab und zu schien uns der Wettereinbruch und die äusseren
Bedingungen fast zum Rückzug zu zwingen. Doch wir haben durchgehalten
und die Strapazen haben sich gelohnt.
Liebe
Kauffrauen, Liebe Kaufmänner
Wir
haben das Ziel – ein Ziel, dass von jedem einzelnen individuell gesteckt
wurde - erreicht.
Auf
der einen Seite jeder für sich, jeder als Einzelkämpfer, jeder
auf seine Art und Weise – und wie wir sehen – jeder der hier anwesenden
erfolgreich.
Auf
der anderen Seite haben wir das Ziel auch gemeinsam erreicht. Gemeinsam
in vielfältigster Weise.
Da
sprossen plötzlich Lerngruppen aus dem Boden wie frische Pilze nach
einer kurzen, feuchten Wetterlage, die sich der wärmenden Sonne entgegen
streckten.
Da
lernte plötzlich die politische Linke in den Gemäuern der politischen
Rechten, mit dem gemeinsamen Ziel, dieses Diplom abzuholen. Von diesem
Beispiel könnten sich unsere bald-wieder-gewählten oder
neu-gewählten Parlamentarier die eine oder andere Scheibe abschneiden..
Gemeinsam
als Klassen haben wir gearbeitet, Klassen, die sich im Verlaufe der drei
Jahre durchwegs als aufmunterndes, aufbauendes und nicht selten auch stützendes
und unterstützendes Gebilde erwiesen haben. Freundschaften wurden
geschlossen und gepflegt. So wurden uns beispielsweise die immer wiederkehrenden
Brättlifeste am wunderschön gelegenen Murtensee zeitweilig fast
etwas zuviel.
Ich
darf ehrlich sagen, dass es mich immer freute, die bekannten und je länger
je mehr auch die vertrauten Gesichter wieder zusehen, die sich während
der letzten drei Jahre doch teilweise erheblich verändert haben. Selbst
bei den jüngeren und jüngsten unter uns entdeckten wir bald einmal
das eine oder andere gräuliche Haar, und die Ringe unter den Augen
wurden - je prüfungsschwangerer die Zeit – auch tiefer
und dunkler.
Nicht
immer war es einfach, einen Kompromiss zwischen Stress, Spass und Lernfreude
zu finden. Niemals werde ich den vielgesagten und vielgehörten Ausspruch
vor und nach den Prüfungen vergessen, der da im breitesten Bernerdialekt
hiess: „I weiss nit was die Gigle hei wöue!“
Den
Gipfel eines Berges zu erklimmen war etwas greifbares, etwas konkretes,
eine unleugbare Tatsache“, sagte Jon Krakauer – wie schon eingangs erwähnt,
als der auf dem Everest stand. Am letzten Montag abend um 19.30 haben wir
diesen Gipfel erreicht. Wir sind glücklich, erleichtert und
froh.
Und
doch ist mit der Gipfelerklimmung, dem Anstossen mit dem Gipfelwein – auf
den wir uns freuen - noch ein weiter Weg vor uns. Der Abstieg muss
noch gemeistert werden.
Mit
dem HKG-Abschluss in der Hand oder am Karabinerhaken, liegt die Zukunft
in unserer Hand. Wir können Erfolg haben und ich bin überzeugt,
wir werden auch Erfolg haben.
Ich
danke allen Dozentinnen und Dozenten für Ihr Engagement und auch für
ihre Nerven und Beharrlichkeit. Ich möchte ihnen Kraft und Mut zusprechen,
Kraft und Mut, Veränderungen aufzunehmen und gemeinsam mit der
Schulleitung und den verantwortlichen Personen neue Wege zu gehen.
„Erst
feste lernen – dann Feste feiern“. Diesem Ausspruch eines Dozenten treu
folgend haben wir den ersten Teil – Feste lernen - hinter uns. Nun freuen
wir uns auf den zweiten Teil - Feste feiern.
Ich
gratuliere uns allen von Herzen und wünsche uns, dass wir das richtige
Seil zum Abstieg im Rucksack haben – und das wir gut gesichert in eine
erfolgreiche Zukunft aufbrechen.
Besten
Dank
Peter
Lacher, Kaufmann HKG