Die Nadel

Zugegeben: auch ich bin der Meinung, dass man mit einer Nadel kaum etwas langweiligeres machen kann als nähen. Als ich in meinen jungen Jahren durch den kantonalen Lehrplan gezwungen wurde, genau dies zu tun, habe ich mit meiner Nadel lieber die zuständige Lehrkraft in ungebührlicher Weise gepiekst anstatt damit Erfahrungen textilhandwerklicher Art zu sammeln.

Inzwischen sehe ich aber selbstverständlich ein, wie infantil dieses Verhalten war – heutzutage würde ich dafür wohl sowieso wegen sexueller Belästigung am Arbeitsplatz verklagt. Da ich also zurück auf den Pfad der Vernunft gefunden habe, erlaube ich mir, über andere zu schimpfen, die dies noch nicht getan haben.

Worum geht es eigentlich? Um mein Fahrrad!

Da sass ich mit ein paar Freunden zusammen bei einem kultivierten Gespräch Pizzas verdrückend an einem der Öffentlichkeit zugänglichen Ort in der Stadt Bern. Nun umfasst aber die "Öffentlichkeit" eine kaum überschaubare Vielzahl an Menschen, darunter auch solche, die überraschend grosse Probleme damit zu haben scheinen, sich kindliche Verhaltensweisen abzugewöhnen. In anderen Worten: nachdem meine Pizza gegessen war, musste ich feststellen, dass jemand mein Fahrrad "gegüfelet" hatte.

"Gegüfelet" ist ein Dialekt-Fachausdruck aus dem Milieu der pubertierenden Kleinkriminellen: es bezeichnet den Vorgang, mit einer Nadel unerlaubterweise Löcher in den Schlauch eines fremden Fahrrads zu stechen.

Ja, das klingt wirklich nach Spass, Spannung, Abenteuer. Ein echter Held, wer solches zustande bringt. Und dann ist da noch der Depp, der sein Fahrrad nach Hause schieben muss und dort wertvolle Zeit damit verbringen darf, nach diesen Löchern zu suchen – zwecks Abdichtung.

Was mich nun am meisten genervt hat an diesem Vorfall war folgendes: in meinem Schlauch war nur ein einziges Loch! Weshalb nur eins? Zweck der ganzen Sache seitens des Täters war es ja wohl, mein Fahrrad fahruntüchtig zu machen! Also wären doch zwei, drei, zwanzig Stiche viel effektiver gewesen! Einen Stich kann ich flicken, wären’s mehr, müsste ich einen neuen Schlauch kaufen!

An der Zeitnot kann’s ja nicht gelegen haben; wo Zeit ist für einen Stich, ist auch Zeit für zwei oder drei. Aber woran dann? Ist mein Fahrrad vielleicht keine zwei Stiche wert? Ich kann doch wohl korrekte Arbeit verlangen, nicht wahr? Wenn schon "Güfelen", dann aber bitte auch richtig! Sonst ist es ja der blanke Hohn!

Schickt Clinton dem Terroristen Ladin eine Rakete in die Hütte? Entlässt die UBS einen Mitarbeiter? Na also! Ja, ihr nadelbewehrten Witzbolde: von denen könnt ihr noch was lernen!
 
 

© Moritz Gerber