Es ist wohl wahr, dass die „political correctness“ oft schon düpiert das Gesicht verzeiht, wo vielleicht ein grosszügiges Augenzwinkern angebrachter wäre. Dies ist auch der Grund weshalb ich bisher versucht habe, eine bestimmte, in der Presse weitverbreitete Geschmacklosigkeit fleissig zu überlesen; es geht um die herablassende Art, wie - in welchem Zusammenhang auch immer - über Japaner geschrieben wird. Gewiss gibt es Personengruppen, die den Schutz vor Diskriminierung nötiger haben als die Japaner. Das scheint für viele Redekteure denn auch Rechtfertigung genug zu sein, um tief in den Giftschrank von Klischees zu greifen und mit vermeintlich witzigen Beobachtungen um sich zu werfen. Ist es aber nicht.
Für mich lief das Fass über bei der EM-Kolumne „Seitenwechsel: Pech gehabt“ vom letzten Donnerstag. Dort wird unter anderem gutgelaunt festgestellt, dass das Staunen „eine der nationalen Lieblingsbeschäftigungen“ der Japaner sei. „Grosse Augen, offener Mund, staunender Blick“ – so und nicht anders lieben wir sie, unsere putzigen Besucher aus dem fernen, merkwürdigen Lande, etwas zurückgeblieben zwar, aber wenigstens wissen sie, was sich gehört, und bestaunen uns brav.
Im EM-Pressezentrum in Rotterdam hat der Autor Staudenmann diese Japaner entdeckt, übrigens keine Touristengruppe, sondern immerhin die Vertreter des japanischen WM-OK 2002. Wie dem auch sei: wären sie am späten Abend noch dortgewesen, glaubt Herr Staudenmann, so „hätten sie womöglich noch abgeräumt, aufgestuhlt und weggeputzt. Und anschliessend darüber gestaunt, dass alles sauber ist“. Ein Kommentar hierzu erübrigt sich.
Während es sich von selbst verbietet, etwa über Deutsche, Franzosen oder andere Europäer und über Staatsangehörige afrikanischer und südamerikanischer Länder derart unverschämt und - anders kann man es nicht sagen – auch schlicht dumm daherzuschreiben, tut man sich bei Japanern (und oft auch bei anderen Menschen „ostasiatischen“ Aussehens) keine Zwänge an. Natürlich hat ein wohlhabender japanischer Tourist schützende Fürsprache weniger nötig als ein mittelloser Flüchtling aus Algerien – trotzdem verdienen beide denselben Respekt.
Ich hoffe, dass bis zur Fussball-WM in Japan und
Korea 2002 ein paar Redekteure ein wenig in sich gehen, denn dann werden
sie dieses fremde Land Japan als Gäste betreten und sich entsprechend
zu benehmen haben. Sonst stehen dann nämlich in den Kolumnen japanischer
Zeitungen böse Dinge über die „staunenden, aber ungehobelten
Grossnasen aus Europa“...
BZ VOM 7. AUGUST, LESERBRIEF "UNSINN" UND BZ VOM 31. JULI, "NUR GEMEINSAM SIND WIR STARK" - Berner Zeitung, August '99
Wann wird endlich die unselige Redewendung aus den Mündern und Köpfen verschwinden, welche die Schweiz mit einem Boot gleichsetzt? Sei’s ein volles, eines mit noch übrigen Plätzen, eines auf diesem oder jenem Kurs – der Vergleich taugt nur dazu, Missverständnisse hervorzurufen.
Anders als ein Boot hat ein Land Nachbarn und grenzt nicht ans Nichts. Ein Land ist nicht aus hartem Holz für die Ewigkeit gebaut, sondern kann sich ändern und neuen Zeiten und Herausforderungen anpassen. Anders als Seemänner können und dürfen wir nicht nur um unser eigenes Wohl besorgt sein, sondern auch um den Rest der Welt, ohne den wir anders als ein einsames Boot nicht sein könnten.
Aber dafür müssen wir auch nicht wie Seemänner alle dasselbe Ziel ansteuern und vom selben Hafen aufgebrochen sein; ein Land ist nicht eine verschworene Schicksalsgemeinschaft gleich Denkender, sondern ein fabriger Zusammenschluss sehr verschiedener Menschen, deren „gemeinsamer niedrigster Nenner“ nebst dem Wohlstand vor allem auch Toleranz und der Wunsch nach Gerechtigkeit sein sollte.
Wer dies „sozialistischen Unsinn“ nennt, der sollte
vielleicht besser Matrose auf einem Kriegsschiff werden als Bürger
in einem demokratischen, modernen Staat.
STAATSBESUCH VON JIANG ZEMIN - Der Bund vom 31.3.99
Nach der frostigen Begegnung zwischen dem Bundesrat und Jiang Zemin in Bern werden nun Stimmen laut, die Kritik an dem Verhalten von Frau Dreifuss und der Berner Stadtpolizei üben. Frau Dreifuss selbst scheint inzwischen etwas eingeschüchtert und versucht, den Zwischenfall möglichst harmlos scheinen zu lassen.
Doch als ein Teil des Volkes, das Frau Dreifuss repräsentiert, möchte ich ihr (und der Polizei) ausdrücklich danken dafür, mehr Rücksicht auf die Freiheit der Meinungsäusserung genommen zu haben denn auf ein hitziges Staatsoberhaupt, dessen unterdrücktes Volk unendlich Schlimmeres über sich ergehen lassen muss als ein Pfeifkonzert unter Luftballonen. (Wobei ich einräume, dass es wohl doch zu unvorsichtig war, Protestler auf den umliegenden Dächern stehen zu lassen – besagte Ballone hätten dort wohl auch genügt.)
Ins Gedächnis rufen sollten wir uns jedenfalls, dass nun genau dieselben geschäftstüchtigen Kreise darüber jammern werden, man hätte doch einen so lukrativen Partner nicht verärgern dürfen, die noch vor wenigen Jahren jedem Sozialisten geraten haben, er möge sich doch ein Ticket „Moskau einfach“ lösen. Politische Überzeugungen sind in diesen Fällen eine Frage des Bankkontos.
Das Geld ist zu oft mächtiger als das Gewissen,
der Mammon wiegt zu oft schwerer die Menschenrechte. Am vergangenen Donnerstag
war dies nicht der Fall, und dafür ein lautes „Bravo!“ und grossen
Dank an Frau Dreifuss, die besonnene Polizei und vor allem an die lautstarken
Demonstranten.
WEITER WEG NACH ARKADIEN – Der Bund vom 9.2.99
Ganz unabhängig davon, welche aufsehenerregenden Ereignisse uns in diesem Jahr noch bevorstehen, ein Thema wird 1999 ganz bestimmt ein Dauerbrenner sein an Familientischen wie in den Medien: Der Jahr-2000-Bug. Schon bisher hat er sehr viel zu reden gegeben, doch scheint mir ein wichtiger Aspekt des Themas kaum beachtet zu werden.
Dieser erste aller "globalen" Programmierfehler samt Riesenrummel drumherum ist nämlich ein deutlicher Hinweis auf ein grosses, unmittelbar anstehendes Problem. Darauf, sass im Jahr 2000 die Apokalypse über uns hereinbricht? Oder dass Computer eben doch fiese Fehlerteufel sind? Nein, und Nein. Vielmehr demonstriert uns diese Panne auf Deutlichste, wie kurzfristig der Mensch eigentlich denkt.
Die Soft- und Hardwarespezialisten, welche "dem Computer" erstmals beigebracht haben, jedes Datum in der Form xx.yy.zz zu speichern, haben damals schlicht übersehen, dass der Lauf ihrer (und unser aller) Zeit auch über das 20. Jahrhundert hinweg nicht stehenbleiben wird.
Sie sind und waren eben nichts als Menschen, zwar vermutlich überdurchschnittlich intelligente. So sahen sie die Welt aus menschlicher Perspektive, mit menschlichen Horizonten – und diese reichen oft kaum weiter als bis zum ersehnten Feierabend, vielleicht bis zu den nächsten Ferien. Aber bis zu einem Jahr, dass nicht mit einer "19" beginnt? So weit dann doch nicht!
Diese Unfähigkeit ist natürlich auch bisher niemandem verborgen geblieben, vielmehr werden wir dauernd daran erinnert, jeden Tag, jedes Mal, da wir vergessen, Milch für’s Frühstück einzukaufen. Kurzsichtigkeit im Alltag ist Legion. Aber im 20. Jahrhundert waren und sind wir erstmals fähig, global kurzsichtig zu sein.
So werden denn – in diesen Tagen auch und gerade in Davos – schöne Reden gehalten über Ziele im "3. Jahrtausend", den "Generationenvertrag", über weite "Visionen" und – natürlich – über die "Nachhaltigkeit". Während also allerorten an uns Menschen appelliert wird, bei unseren Handlungen auch die Zukunft, auch kommende Generationen zu bedenken, beweist uns gleichzeitig die Y2K-Debatte, dass wir eben dazu offensichtlich gar nicht in der Lage sind!
Mag man einwenden: wir wurden gar nicht dazu geschaffen, weit vorauszudenken, ebensowenig wie Katz‘, Fisch und Vogel – sonst hätte Gott uns ja gleich einen Terminkalender mitgegeben. Aber bei aller Tierliebe, selbst als Vegetarier bin ich der Ansicht, dass der Mensch den Tieren zumindest etwas voraushat. Nämlich: dass er über sich selbst hinauswachsen kann. Und deshalb nicht nur an sich, seine Welt und seine Zeit, sondern auch an andere, deren Welt und deren Zeit denken kann.
Oder könnte. Ob er’s wirklich tun
wird, wird sich weisen. Klar ist eines: Wolkige Prophezeiungen vom Kaliber
der Davos-Rede Al Gores, derzufolge Arkadien für die gesamte Menschheit
gleich um die Ecke liegt und das Internet uns obendrein allen den kürzesten
Weg dahin weist, solche und ähnliche Äusserungen wären nur
dann von wirklichem Wert, wenn ihre Urheber sich nicht dauernd durch ihre
Handlungen selber Lügen strafen würden.
REALPOLITIK – Der Bund vom 28.1.99
Der Rektor der Universität Bern hat es letzten Donnerstag zurecht "eine Ehre" genannt, dass der neue Aussenminister Deutschlands kaum 100 Tage nach seinem Amtsantritt sich bereit erklärt hatte, an derselben Universität eine Rede zu halten.
Aber des Rektors Lob, dieselbe Rede zu hören sei ein "intellektuelles Vergnügen" gewesen, kann nicht wirklich ernstgemeint sein. Erstaunlich, dass Joschka Fischers Worte auch andernorts Anklang fanden. Hätten sie doch beinahe unverändert auch von seinem konservativen Amtsvorgänger Kinkel stammen können, und hat Fischer doch nach alter Politikermanier sehr viel mehr gesprochen als gesagt.
Ich hatte befürchtet, eigentlich gewusst, dass ein Fischer nach der Übernahme der Regierungsmacht, ein Fischer, der Konzessionen gemacht hatte und "Realitäten akzeptiert", dass solch ein Fischer mich mit seiner Rede enttäuschen würde. Richtig befürchtet. Nicht genug damit, dass gute zwei Drittel seiner Rede einer mehr oder wenig interessanten Geschichtslektion glichen, in der das Publikum etwa über den Vertrag von Versailles belehrt und darüber informiert wurde, dass Europa aus verschiedenen Ländern besteht, ein jedes mit seiner eigenen geopolitischen Lage.
Nein, als Fischer schliesslich doch nicht umhin kam, das Wort "Menschenrechte" in den Mund zu nehmen, so fiel ihm dazu vor allem ein, man müsse "auch mal fünfe grade sein lassen", "auch mal schmutzige Hände schütteln", und gegen unbelehrbare Regime "in Gottes Namen (!) mit Waffengewalt vorgehen", war schliesslich klar, dass Fischer wirklich ohne Skrupel grüne Anliegen zu opfern gewillt ist. Nicht nur zugunsten einer schwammigen "Einigung Europas", sondern wohl auch zugunsten der schönen Stellung als Aussenminister.
"Kontinuität" war vermutlich das meistgenannte Wort, und selbst die beinahe peinliche Wendung "Nachhaltigkeit" war Fischer nicht eine zu billige Floskel... Ja, die Aussenpolitik ist, wie er betonte, ein heikles Gebiet, wo man kaum den kleinen Finger bewegen kann, ohne dass ein Erdbeben losbricht. Weshalb aber strebte er dann genau dieses Amt an, und nicht eines, in dem er mehr verändern könnte, warum nicht das des Innen- oder Verkehrsministers? Nur wegen dem Prestige, nur wegen der vielen Reisen?
Mit Fundamentalismus kann man keine Politik machen,
darüber kann es keinen Zweifel geben. Aber zweifeln darf und muss
man daran, ob Fischer sich wohl nicht doch zu weit von seinen politischen
Überzeugungen entfernt hat.