WIE MAN ANEINANDER VORBEIGEHT



Gehen Sie in der gewünschten Geschwindigkeit und auf für Sie bequeme Art. Die Augen im Allgemeinen gesenkt halten, auf den Boden ein paar Schritte vor Ihnen achten. Dabei ist in regelmässigen Abständen ein Kontrollblick in Gehrichtung zu werfen, um früh genug auf den Partner aufmerksam zu werden. Der Intervall zwischen den Kontrollblicken hängt dabei von Ihrer Gehgeschwindigkeit ab; schnelleres Gehen bedeutet pro Zeiteinheit mehr Kontrollblicke.

Taucht nun also ein entgegenkommender Fussgänger auf, gilt vor allem eines: nicht nervös werden! Aneinander vorbeizugehen ist immer ein heikles Manöver – aber wenn man sich an die klaren, einfachen Regeln hält, ist meist problemlos das Ergebnis zu erreichen, welches beide Parteien sich wünschen: ein unverzögertes Fortsetzen des Gehens mit minimalem Emotionsaufwand.

Wenn der Partner gesichtet ist, spuren Sie unverzüglich ein. Schon eine leichte Gehneigung nach links oder nach rechts sollte als Signal genügen. Trotzdem sich immer mit einem Kontrollblick versichern, ob der Partner die Seitenzuteilung erkannt und übernommen hat, nötigenfalls nachbessern. Es ist zu vermeiden, sich beim weiteren Annähern über die Seitenzuteilung im Unklaren zu sein; wenn mehrmals hin- und hergewechselt wird kann das zu Augenkontakt führen, manchmal auch zu Geschwindigkeitsverlust und sogar zu Stehenbleiben.

Haben Sie richtig eingespurt und sich davon versichert, dass Ihr Partner korrekt links bzw. rechts kreuzen wird, setzen Sie die Kontrollblicke aus und nähern sich dem Partner bis auf drei, vier Meter – auch hier hängt die ideale Distanz von der Geschwindigkeit ab, und zwar diesmal nicht nur von Ihrer, sondern auch von der des Gegenübers.

Erst jetzt die Augen noch einmal heben und rasch zum Partner schauen; dieser letzte Kontrollblick dient dem Erkunden von Details zur Person des Gegenübers (Stellt die Person eine Bedrohung dar? ; Alter? ; Attraktivitätsgrad? ; Aufmerksamkeit? ; Ist diese Person ein Bekannter/Verwandter von mir?) und der zusätzlichen Sicherung störungsfreien Kreuzens. Der Blick soll kurz und lässig ausgeführt werden, mit Blickrichtung etwa auf Schulterhöhe des Partners, die Gesichtspartie wird in einem minimen Auschlag nach oben abgedeckt. Längeres Betrachten des Gesichts ist zu vermeiden, ebenso sollen eventuell vorhandene Auffälligkeiten an Körper und Verhalten nicht eingehender studiert werden als andere Elemente.

Von besonderer Bedeutung ist für diesen letzten Blick das Timing: geschieht er zu früh, so muss er unter Umständen wiederholt werden – wobei dann meist nur noch wenig Weg-Spielraum übrig ist. Geschieht er zu spät, kann er entweder ganz das Ziel verfehlen oder im Gegenteil diesem zu nahe kommen. Die Folgen sind auch hier Blickkontakt, erhöhte Intimität, in Extremfällen auch gestisches, mimisches oder sehr selten verbales Grüssen.

Sollte man seinerseits gegrüsst werden, so reagiert der vernünftige Fussgänger dort, wo es möglich ist, tolerant und grüsst zurück. Die Fehler des Partners generell immer durch das eigene Verhalten aufzufangen oder abzufedern versuchen.

Erfolgt der Gruss übrigens sehr spät, also mitten im Vorbeigehen oder sogar danach, so liegt es im Ermessensspielraum des Einzelnen, wie er am besten auf so einen seitlich-rückwärtigen verbal-Nachschlag reagiert.

Diese Regeln sind, wie auch alle anderen Lektionen dieses Lehrgangs, mit etwas Übung leicht zu befolgen und anzuwenden – beim ersten Anlauf dagegen gelingen sie nur selten. Ohne praktische Erfahrung in realen Lebenssituationen sind sie nicht zu meistern.

Eignen Sie sich jedoch unbedingt vorzeitig die genauen Abläufe aller Lektionen an, lernen Sie zuerst die Theorie. Bis dahin sollten Sie wenn möglich das Haus nicht verlassen; ungeduldigen Anfängern empfehlen sich hin und wieder ein paar Schritte auf dem Balkon.
 

(c) Moritz Gerber