[Eine Beispielszene aus der kleinen Kömodie, die von der WG von
Anna, Daniel und Nathan handelt -
und vom Setzen von Prioritäten...]
4. BADEZIMMER INNEN/TAG
Das Badezimmer ist leer, das Licht ausgeschaltet. Vom Flur her fällt ein blasser Lichtstreifen der Wanne entlang auf die Kloschüssel.
TITEL:
Montag, der 9. Mai
Daniel eilt ins Bad. Er tritt zur Kloschüssel, öffnet seine Hose und beginnt, ungeduldig hin- und herzuwippen.
Anna schlendert ins Badezimmer, pfeifft heiter vor sich hin.
DANIEL
Warte! Ich...
ANNA
Was ist?
(sie pfeifft weiter)
DANIEL
Nein, nicht pfeiffen! Ach, Scheisse!
ANNA
Wieso soll ich nicht pfeiffen? Spinnst
du?
DANIEL
Nein, es ist... ich habe gleich
ein wichtiges Treffen und bin sowieso schon nervös, und wenn ich...
Wenn ich nervös bin, dann kann ich nicht... dann geht’s eben nicht,
und wenn jemand pfeifft schon gar nicht!
ANNA
Wovon sprichst du?
DANIEL
(atemlos, genervt:) Na, hier, eben das, die Sache,
die man macht, wenn man so dasteht und ein Mann ist und die Hosen offenhat
und hin- und herwippt und hofft, dass bloss niemand kommt, der dann möglicherweise
sogar noch pfeifft und damit das letzte Restchen Konzentration und Energie,
das einem noch geblieben ist, vollständig verscheucht!
Anna beugt sich über Daniel’s Schultern, blickt an ihm herab.
ANNA
Ach, das.
... Du solltest dazu sowieso absitzen!
DANIEL
Ich hatte aber keine Zeit, abzusitzen!
ANNA
Aber mir lange Vorträge zu halten, dafür
hast du Zeit genug?
DANIEL
Natürlich nicht! Deshalb könntest du
jetzt bitte still sein und mich... diese Sache... alleine durchziehen lassen?
ANNA
Bitte.
Sie tritt vor den Spiegel und beginnt, sich zu schminken.
ANNA
(beim Schminken, ohne sich umzudrehen:)
Toi, toi, toi!
DANIEL
Anna!
ANNA
Schon gut...
Eine Weile stehen sie stumm da. Anna schminkt
sich, Daniel verlegt sein Gleichgewicht vom einen Bein aufs andere.
Plötzlich:
DANIEL
Nein, so geht es nicht. Jetzt bin ich völlig...
Ich hatte noch nie solche Schwierigkeiten, aber jetzt...
Tut mir leid, ich denke, du musst kurz aus dem
Bad gehen.
ANNA
Daniel, jetzt übertreibst du. Ich habe mich
schon hundertmal geschminkt, während du Pipi gemacht hast.
DANIEL
Ja, ja! Aber ich... bin jetzt sehr nervös,
und...
(genervt:) Könntest du das bitte für
mich tun oder nicht?! Anna?!
ANNA
„Die Unvollendete“... ein Kraftakt...
(räumt ihre Schminksachen zusammen)
Ich habe nicht gewusst, dass das so eine Sache
ist bei euch...
DANIEL
Ist es auch meistens nicht, aber heute ist es
das eben schon. Ich bin gestresst, habe ein wichtiges Gespräch, bei
dem ich nicht dauernd an meine Blase denken will, ich...
(schaut über die Schultern zurück zu
Anna)
... äh, halt, das ist mein Konturenstift!
ANNA
Stimmt.
Anna nimmt den Stift wieder aus ihrem Schminktäschchen, legt ihn hin und geht zur Tür.
ANNA
Männer sind auch nicht mehr das, was sie
einmal waren.
DANIEL
Och, das ist jetzt wirklich... Hey, es tut mir
leid. Es dauert höchstens drei – fünf Minuten, ok?
ANNA
Daniel, es ist mir wirklich egal, wo ich mich
schminke. Was mir Sorgen macht ist, dass dies unser längstes Gespräch
war seit über einer Woche.
Sie verlässt das Bad und zieht die Tür hinter sich zu.
DANIEL
Warte! Anna, ich...
(er überlegt kurz, wendet sich dann
wieder dem Klo zu)
(murmelnd:) Wen wundert es da, dass ich mich
nicht konzentrieren kann?
[...]
© Moritz Gerber