AUSZUG AUS

"LEBENSRETTER"

Drehbuch zu einem Spielfilm

von Moritz Gerber



            AUSSEN. PARK AM FLUSS - TAG

            Es schüttet weiter in Kübeln. SABINE tritt eilig aus dem
            Kaffee, ihr folgt PASCAL. Schnellen Schrittes geht SABINE
            auf die Strasse zu. PASCAL eilt ihr hinterher.

                                PASCAL
                      Ich kaufe dir einen Schirm. Warte! du
                      brauchst einen Schirm!

            SABINE schaut über ihre Schulter zurück, geht ein bisschen
            langsamer.

                                SABINE
                      Lass mich, Pascal. Bitte.

                                PASCAL
                      Ich begleite dich nach Hause. Ich
                      kaufe dir einen Schirm.

                                SABINE
                      Ich gehe alleine.

            Sie geht jetzt wieder schneller. PASCAL läuft neben ihr
            her.

                                PASCAL
                      Sabine, es hat doch gerade erst
                      angefangen.

            SABINE bleibt plötzlich stehen. Sie schaut PASCAL in
            grossem Ernst an.

                                SABINE
                      Und es endet auch schon wieder. Ich
                      habe nicht die Geduld, dich
                      kennenzulernen. Du bist so langsam
                      darin...
                          (kurze Pause, dann:)
                      Ich weiss von dir nur deinen Namen.

            Der letzte Satz trifft PASCAL wie ein dumpfer Hieb. Er
            bleibt reglos stehen, als SABINE sich umdreht und
            weitergeht. Der Regen hat sie beide inzwischen völlig
            durchnässt.

            AUSSEN. SPATZIERWEG AM FLUSS - ABEND

            Der Ort liegt etwas ausserhalb der Stadt, nur einzelne
            Einfamilienhäuser säumen den Weg. Es regnet unverändert in
            Strömen, ausserdem ist es merklich dunkler geworden.

            PASCAL sitzt auf einer Bank und schaut hinaus auf den
            Fluss, der inzwischen an Kraft und Wassermassen zugenommen
            hat. PASCAL ist nicht nur nass, er scheint sich geradezu im
            Wasser aufzulösen - aber er scheint es auch kaum zu
            bemerken.

            Auf den Wellen des Flusses taucht plötzlich eine
            Weinflasche auf, leer bis auf ein zusammengerolltes Stück
            Papier, zugekorkt. Eine Flaschenpost. PASCAL folgt der
            Flasche mit den Augen, sie treibt an ihm vorbei, weiter
            hinab.

            PASCAL steht auf... und geht langsam los. Flussabwärts, der
            Flasche nach.

            AUSSEN. DEM FLUSS ENTLANG - ABEND

            Es regnet in unverminderter Heftigkeit. PASCAL folgt der
            Flasche flussabwärts. Die Gegend wird immer unbewohnter,
            immer mehr Bäume stehen längs des Spazierwegs - der sich in
            eine einzige grosse Pfütze zu verwandeln beginnt.

            PASCAL schaut nur hin und wieder zu der Flasche, ganz
            unbeteiligt eigentlich, und keineswegs den Eindruck
            machend, er wolle sie aus dem Wasser fischen und öffnen.
            Eher macht er mit der Flasche einen gemeinsamen
            Spaziergang, als dass er sie verfolgt.

            AUSSEN. BEI DER FUSSGÄNGERBRÜCKE - ABEND

            Ein paar dutzend Meter flussaufwärts spannt sich eine
            kleine Fussgängerbrücke vom einen zum anderen Ufer - welche
            beide ziemlich dicht bewachsen sind von Bäumen und
            Sträuchern. Falls es in der Nähe Häuser und Strassen gibt,
            sind sie in der Dämmerung und hinter dem Regenvorhang nicht
            zu erkennen.

            PASCAL steht im Schlamm nahe beim Wasser und schaut in die
            Wasserwirbel etwas weiter oben. Es ist klar, dass er die
            Flasche überholt und etwas hinter sich gelassen hat, und
            nun darauf wartet, dass sie ihn wieder einholt. Sein Blick
            ist starr und abwesend - er geniesst dieses Spiel nicht
            besonders.

            Ein kurzer SCHREI, gefolgt von einem lauten KLATSCHEN,
            schrecken PASCAL auf. Er schaut hinauf zur Brücke, erkennt
            undeutlich eine Gestalt, die von den Wasserwirbeln neben
            einer der Pfeiler herumgewirbelt wird. Die Gestalt bewegt
            sich, wird aber dann plötzlich überspült, verschwindet im
            sprühenden Fliessen.

            PASCAL starrt dorthin, wo die Gestalt untergetaucht ist,
            starr vor Schreck. Da taucht die Gestalt wieder auf, wird
            weitergetrieben. Doch diesmal ist sie völlig reglos.

            Als die Gestalt die Höhe PASCALS erreicht hat, kommt mit
            einem Mal Bewegung in ihn; er reisst sich sein Hemd vom
            Leib, das Ufer entlanghüpfend zieht er sich die Schuhe aus,
            wirft sie von sich. Dann springt er ins Wasser.

            AUSSEN. IM WASSER - ABEND

            Es ist ein Chaos; die Wogen des Flusses und das Prasseln
            der Regenmassen, welche die Wasseroberfläche aufkratzen und
            in tausend kleinen Kratern explodieren lassen. Überrascht
            vom starken Strom und dem Gewicht seiner Hose wird PASCAL
            gleich nach dem Sprung in den Fluss brutal unter Wasser
            gerissen. Laut japsend schiesst er wieder an die
            Oberfläche, bloss um einen grossen Schwall Wasser zu
            schlucken - PASCAL hustet keuchend auf, wieder taucht er
            unter.

            Dann aber gewinnt er etwas Kontrolle. Er entdeckt die
            dahintreibende Gestalt, wenige Meter entfernt. PASCAL
            erreicht den Körper schnell - es ist ein Mann, Mitte 30, in
            einem Trainingsanzug, sportlich gebaut, und absolut leblos;
            DAVID.

            PASCAL packt DAVID an den Schultern, reisst ihn zu sich.
            doch der schwere Körper rollt wie eine Welle über PASCAL
            hinweg, drückt diesen unter Wasser. Keuchend taucht PASCAL
            auf der anderen Seite wieder auf. DAVID droht, ihm
            davonzutreiben, doch PASCAL streckt sich zum Äussersten, um
            ihn am Kragen zu greifen.

            Nun fährt er mit seinen Armen unter die Arme des leblosen
            DAVID, umgreift von hinten dessen Brustkorb. Tatsächlich;
            mit schweren Ruderschlägen seiner Beine bewegt PASCAL sich
            und seine Last langsam, sehr langsam, seitwärts zum Strom.
            Das Ufer ist durch das Sprühen und Spritzen des
            Wassertobens kaum auszumachen, aber irgendwo muss dieser
            Fluss ja ein Ufer haben. PASCAL strampelt verzweifelt
            weiter...

            AUSSEN. AM FLUSSUFER - ABEND

            PASCAL liegt auf dem schlammigen Ufer des Flusses, inmitten
            von struppigen Büschen, zusammengesunken, kraftlos wie ein
            ausgewrungenes Küchentuch. Neben ihm der reglose Körper
            DAVIDS. Jetzt ist zu erkennen, dass DAVID in
            Joggingkleidern und einem Regenschutz steckt.

            PASCAL stemmt sich auf seine Knie, wälzt DAVIDS Körper
            herum, so dass er mit dem Gesicht nach oben liegt.
            Verzweifelt starrt PASCAL auf dieses bleiche, unbewegte
            Gesicht, dessen Augen geschlossen und dessen Lippen kalt
            und blau sind.

            PASCAL blickt zum Spazierweg, der hinter dem Blättergewirr
            und den rauschenden Regenschlieren kaum zu erkennen ist.

            Es ist klar, dass ihn niemand hören kann, nur zögernd und
            ganz leise ruft PASCAL nun;

                                PASCAL
                      Hilfe!

            Der Ruf wird vom dunkeln Regenvorhang spurlos verschluckt.
            Trotzdem:

                                PASCAL (CONT'D)
                          (etwas lauter:)
                      Hallo! Hilfe!

            Dann schaut er zurück zu DAVID. Und beugt sich zu ihm
            hinunter, drückt seinen Mund auf dessen kalte Lippen,
            beginnt eine Art Mund-zu-Mund-Beatmung.

            Kurz hält PASCAL inne, gehetzt, setzt sch dann auf DAVID,
            schlägt mit flachen Händen auf dessen Brustkorb. Wieder.
            Und wieder.

                                PASCAL (CONT'D)
                      Hilfe! He! Hilfe!

            Und wieder.

            Plötzlich geht ein Ruck durch DAVIDS Körper. Er hustet,
            rasselnd fährt Luft in seine Lungen - er atmet.

            Und gleichzeitig verlieren wir DAVID und PASCAL aus den
            Augen, als die KAMERA sich den unvermindert
            dahinströmenden, vom Regen aufgekratzten Wassermassen
            zuwendet...

 

(c) Moritz Gerber